Ganz schön chauvinistisch, die Börse
Der letzte Abschnitt einer allgemeinen Aufwärtsbewegung an den Börsen, wenn breite Bevölkerungsschichten, die sich ansonsten nicht an der Börse engagieren, anfangen Aktien zu kaufen, wird nämlich als Milchmädchenhausse bezeichnet. Die weiteren für eine solche Börsenphase üblichen Bezeichnungen sind übrigens nicht weniger chauvinistisch und lauten Dienstmädchen-Hausse, Putzfrauenhausse oder Hausfrauenrallye. Als ob nur Frauen dem Reiz der leichten Börsengewinne unterliegen würden. Ich kann Ihnen aus eigener, langjähriger Erfahrung sagen, dass es mindestens genauso viele Männer wie Frauen gibt, die in einer Spätphase einer Aktienhausse auf den fahrenden Zug aufspringen wollen und sich der Risiken gar nicht bewusst sind, die sie damit eingehen.
Deutlich weniger chauvinistisch, aber dafür umso unfairer verhalten sich erfahrene Anlage- und Vermögensberater, wenn sie die unerfahrenen Kleinanleger (unabhängig von ihrem Geschlecht) gerade in einer solchen Börsen-Übertreibungsphase in die Aktienanlage schicken. Noch schlimmer sind die sogenannten Finanzexperten, die diejenigen Kapitalanleger loben, die den Weg vom Sparbuch zur Aktie gefunden haben. Damit wird jeder Sparer, der sein Geld noch nicht in Aktien investiert hat, automatisch zu einem Dummkopf oder mindestens zu einem hinterwäldlerischen Aktienmuffel degradiert.
Die Statistik bestätigt die „Milchmädchenhausse“
Aber lassen wir einmal die Statistik sprechen. Demnach haben die Sparkassen-Kunden 2020 netto 19,1 Milliarden Euro neu in Wertpapiere investiert. Das ist dem DSGV (Deutscher Sparkassen- und Giroverband) zufolge der höchste Nettoabsatz der vergangenen 20 Jahre. Davon entfallen 14,1 Milliarden Euro auf Fonds, was einem Plus von 44 Prozent zum Vorjahr entspricht. Weitere 4,7 Milliarden Euro investierten die Sparkassen-Kunden in Aktien – im Vorjahr waren es nur 1,2 Milliarden Euro gewesen. Außerdem zeigen aktuelle Daten der Bundesbank, dass die Zahl der Wertpapierdepots im Rekordtempo steigt. Inzwischen gibt es in Deutschland demnach über 25 Millionen Wertpapierdepots von Privatkunden – ein wahnsinnig hoher Wert für Deutschland.
Die deutschen Privatanleger verlieren offensichtlich ihre Angst vor der Börse und den Aktien. Das ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber auf das Timing bezogen ziemlich suboptimal.
Erfahrene Geldverwalter werden vorsichtiger
Gerade erfahren und erfolgreiche Vermögensverwalter und Fondsmanager weisen inzwischen auf die sich mehrenden Warnsignalen hin. Gerade weil sie derzeit die Ausnahme bilden in einem Börsenumfeld, das von einer Mehrzahl von Optimisten geprägt ist, möchte ich deren Argumente für eine vorsichtigere Aktienstrategie nachfolgend zitieren:
Bei Jens Ehrhardt (von „DJE Kapital“) gehört neben der Bitcoin-Rally seiner Einschätzung nach auch die Kursexplosion der Tesla Aktie zu den Warnsignalen. Darüber hinaus könnte seines Erachtens auch die geringe Zahl von Verkaufsoptionen in den USA ein weiteres Zeichen für Sorglosigkeit sein und auch die niedrigen Barquoten der Fondsmanager seien markttechnisch negativ zu bewerten.
Bert Flossbach (von „Flossbach von Storch“) weist auf die Risiken aufgrund des derzeit vorherrschenden Optimismus hin. Für fallende Kurse könnte es nach Auffassung des Vermögensexperten drei Gründe geben: Nachhaltig einbrechende Unternehmensgewinne, nachhaltig steigende Zinsen und völlig überzogene Bewertungen.
Viele Parallelentwicklungen zu anderen ökonomischen Vorkrisenzeiten
Mich persönlich beunruhigt der extreme Optimismus an der Börse ebenfalls. Darüber hinaus sehe ich einige durchaus ernst zu nehmende Parallelentwicklungen zu den Zeiten kurz vor den Wirtschafts-bzw. Finanzkrisen sowie Börsencrashs in den Jahren 1929, 1987, 2000 und 2007/2008.
Bedenkliche Argumentationskette
Eigentlich sind es immer dieselben beiden Argumente, die die Berufsoptimisten, also vor allem die Mehrheit der Anlage- und Vermögensberater, aber auch Fondsmanager, Vermögensverwalter und sonstigen Kapitalanlagevermittler, bei Rekordständen wie derzeit nennen und bei nicht auszuschließenden weiteren Kursübertreibungen an den Börsen weiterhin anführen werden:
- Es ist vor allem die ultralockere Geldpolitik mit dem daraus folgenden Niedrigst-Zinsniveau am Rentenmarkt, die die Börsen vor einem dauerhaften Kursrückgang bewahren wird.
- Nachdem es in den letzten Jahren durchaus heftige Ausschläge gab, wie z.B. den Frühjahrscrash 2020, werden die Ausschläge nach unten nicht mehr als Kurseinbrüche bezeichnet, sondern als exzellente Chance zum Einstieg umdefiniert. Die starken Ausschläge nach oben werden hingegen als starkes und ganz normales Zeichen eines langfristig kräftigen Aufwärtstrends bewertet.
Damit kann an den Börsen kommen, was will. Mit dieser simplen und quasi immerwährenden Argumentationskette werden die so argumentierenden Berufsoptimisten immer Recht behalten – selbst dann, wenn Sie persönlich riesige Aktienkursverluste in Ihrem Depot zu verzeichnen hätten.